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Führung braucht Zeit


| Jan-Philipp Rickerich, Berater |


„Die Zeit vergeht nicht schneller als früher, aber wir laufen heute eiliger an ihr vorbei“, beschrieb George Orwell (1903-1950) schon im frühen 20. Jahrhundert ein Problem, welches auch heute nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat. Das Zitat illustriert eines der großen Dilemmata der modernen Gesellschaft: Steigende Dynamik, Komplexität und falsch gesetzte Prioritäten führen dazu, dass uns heute die Zeit nur allzu oft fehlt.

Während der private Umgang mit dem Zeitmangel jedem Menschen persönlich überlassen ist, stellt er aus beruflicher Sicht ganze Unternehmen und Organisationen vor große Herausforderungen. Einen erheblichen Einflussfaktor auf die beruflichen Zeitressourcen stellt dabei die hierarchische Position dar, denn der Zeitmangel wächst proportional mit dem beruflichen Aufstieg. Für viele Führungskräfte stellen 80-Stunden-Wochen keine Seltenheit dar. Ihre Woche ist gespickt mit Zeitfressern: Meetings, Gespräche, Deadlines, Reisezeiten und Termindruck, um nur ein paar davon zu nennen. In unseren Beratungsprojekten stellen wir immer häufiger fest, dass dabei vor allem für einen elementaren Aspekt der Arbeit immer weniger Zeit verwendet wird: die Mitarbeiterführung - ein Kernthema der Führungskräfte.

Im Durchschnitt verbringen Führungskräfte aktuell ca. 80 Prozent ihrer Zeit mit Sachaufgaben und nur ca. 20 Prozent mit Steuerungs- und Führungsaufgaben. Diese Tendenz ist weiter steigend. In unseren Projekten haben wir bereits mit Führungskräften zusammengearbeitet, die laut eigenen Angaben nur ca. 5 bis 10 Prozent ihrer Zeit für Führungsaufgaben verwenden – das ist selbstverständlich viel zu wenig. Als grobe Richtlinie für den Führungserfolg gilt: Führungskräfte sollten höchstens 20 Prozent ihrer Zeit für Sachaufgaben nutzen. Die restliche Arbeitszeit sollte für Steuerungs- und Führungsaufgaben zur Verfügung stehen.

Der generelle Zeitmangel ist dabei jedoch nur ein Aspekt, mit dem man die fehlende Mitarbeiterführung zu erklären versucht. Ein weiterer – vielleicht noch wichtigerer – Aspekt ist die Priorisierung von Themen innerhalb der Arbeitszeit. Aus Beratersicht werden Führungskräfte heute zu stark an der Erreichung ihrer fachlichen Ziele – also den sogenannten „harten“ Faktoren – gemessen. Die Messung und Bewertung von gemeinsamen Team- oder Abteilungszielen bzw. der Führungsqualität bleibt (noch) zu oft die Ausnahme. Es braucht ein strategisches Umdenken in Unternehmen: Eine Führungskraft sollte primär führen und nicht mitarbeiten. Steuern, koordinieren, delegieren, entwickeln, konzipieren und natürlich kommunizieren, um an dieser Stelle einige echte Führungsaufgaben zu nennen.

Die alleinige Verantwortung für die Lösung dieses komplexen Themas kann nicht nur bei den Führungskräften liegen. Die organisationalen Rahmenbedingungen spielen dabei ebenfalls eine erhebliche Rolle: Wichtig ist hierbei die Führungsspanne, also die Anzahl der von der Führungskraft geführten Mitarbeiter. Die optimale Führungsspanne beläuft sich aus unserer Erfahrung auf maximal 10 bis 15 Mitarbeiter pro Führungskraft. Gerne sagen wir auch: Eine Führungsspanne, die in etwa zwischen der Größe einer Handball- und einer Fußballmannschaft liegt, hat sich bewährt.

Die besten Führungskompetenzen sind wertlos, wenn die Führungskräfte im Alltag keinen Raum dafür schaffen (können), um diese Kompetenzen auch zu leben. Schaffen Sie diesen Raum, um sich der Belange Ihrer Mitarbeiter anzunehmen. Hat sich eine gesunde Führungskultur erst einmal etabliert, zahlt sich die investierte Zeit langfristig in deutlichen Motivations-, Zufriedenheits- und Produktivitätssteigerung aus.

Jan-Philipp Rickerich

Berater, Rosenberger+Partner


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